Abschnittsübersicht

  • Problembasiertes Lernen, auch als problemorientiertes Lernen bezeichnet, wurde in den 1960er Jahren an einer kanadischen Hochschule mit dem Ziel der Verbesserung der medizinischen Ausbildung durch Wissensanwendung und einen stärkeren Praxisbezug entwickelt. Inzwischen ist der Ansatz in anderen Disziplinen ebenfalls verbreitet, wird im Sekundarbereich eingesetzt und stellt bspw. die pädagogische Leitphilosophie bzw. zentrale Unterrichtsmethode der Universität Maastricht dar. [2]

    Bei problembasiertem Lernen handelt es sich um eine Form des Lehrens und Lernens, bei der die TN in Teams Probleme bearbeiten und Lösungsansätze entwickeln. Anstatt Wissen von der LP präsentiert zu bekommen, suchen die TN aktiv danach und (re-)konstruieren es gemeinsam mit ihren Kolleg*innen, um Probleme zu lösen. Bereits vorhandenes Wissen der TN wird untereinander ausgetauscht und dient als Basis für die Planung des Lernprozesses (was müssen wir wissen/herausfinden, um das Problem zu lösen?). Dabei erweitern sie ihr inhaltliches Wissen, aber auch Anwendungswissen und Kompetenzen in den Bereichen Problemlösung, Recherche, Argumentation, Kollaboration und Kommunikation. [3]

    Problembasiertes Lernen kann im kleineren Rahmen in eine Lehrveranstaltung integriert werden (z.B. eine Problemstellung wird bearbeitet), oder die gesamte Lehrveranstaltung bildet einen problembasierten Lernprozess (eine ggf. aufeinander aufbauende Abfolge mehrerer Problemstellungen wird nacheinander gelöst). Wichtig ist, dass die Problemstellung(en) die TN fordern, ohne sie zu überfordern. Die Problemstellungen haben die Form von Fällen und erhalten keine konkrete Fragestellung oder Lösungsaufforderung. Was genau das Problem ist bzw. aus welchen Aspekten es sich zusammensetzt, wird von den TN aus dem Fall in erster Linie herausgearbeitet, wie folgendes Beispiel der Handreichung für Problemorientiertes Lernen der Ruhr-Universität Bochum zeigt: 

    TECHNIK, MEDIZIN, BIOLOGIE: DICKE LUFT IM HÖRSAAL

    Montagmorgen im Audimax. Ich habe gerade noch in der ersten Reihe einen Sitzplatz bekommen. Obwohl mich die Vorlesung interessiert und ich mich ausgeruht fühle, überkommt mich nach einer halben Stunde eine starke Müdigkeit. In der Pause zieht es mich an die frische Luft. „Die Vorlesung ist mal wieder echt einschläfernd, obwohl das Thema doch ganz spannend ist", meint ein Kommilitone. „Vielleicht liegt es daran, dass die Sauerstoffkonzentration zu stark absinkt, weil alle Türen und Fenster geschlossen waren?" „Glaub' ich nicht", meint ein anderer. „Das kommt nicht vom Sauerstoffmangel, sondern vom steigenden CO2-Pegel im Hörsaal. Jeder Busfahrer kennt doch den Trick, wie er für Ruhe im Bus sorgen kann: Wenn er die Klimaanlage auf Umluft stellt,
    schlafen alle nach kurzer Zeit ein, denn der MAK-Wert von CO2 liegt ja bei 5000 ppm.“
    Quelle: Ruhr-Universität-Bochum. (o. J.). Lehre laden: Problemorientiertes Lernen. CC BY-NC-SA 4.0. 
    https://dbs-lin.ruhr-uni-bochum.de/lehreladen/lehrformate-methoden/problemorientiertes-lernen/

    Die Erstellung von Fallbeispielen braucht Zeit und gute Überlegung: Ausgangspunkt ist die Formulierung der Lernziele, welche durch die Auseinandersetzung mit dem Problem erreicht werden sollen. Das Problem selbst zeichnet sich durch Authentizität, Komplexität, Interdisziplinarität aus. [4] [5] Zudem ist es „schlecht strukturiert“, d.h. es lässt mehrere Lösungswege zu und die Ausgangssituation ist oft nicht klar. Ein Beispiel eines schlecht strukturierten Problems war die Problematik, die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern, als noch wenig über die Verbreitungsart des Virus bekannt war. [6] Die Ausgangsituation (wie wird Covid-19 übertragen?) war zunächst nicht klar, weil zu wenig über das Virus bekannt war. Die verschiedenen „Lösungswege“ zeichnen sich in den unterschiedlichen Maßnahmen, die von einzelnen Ländern getroffen wurden, ab. Eine Vorgangsweise für die Erstellung von Problemstellungen sowie Beispiele stellt die Handreichung für Problemorientiertes Lernen der Ruhr-Universität Bochum bereit. Die beschriebenen Schritte können zudem bei der Adaption bereits fertiger (frei verfügbarer) Problemstellungen helfen.

    Zusätzlich zu gut formulierten Problemstellungen ist die Planung der Teamarbeit zu klären. Wie viele TN werden in der Lehrveranstaltung erwartet? Wie viele LP bzw. Tutor*innen stehen für die Begleitung der Teamarbeit zur Verfügung? Ist eine LP und kein*e Tutor*in für die Betreuung verfügbar, sind Teams zu vier bis fünf TN sinnvoll. Je mehr TN pro Team, desto größer ist die Gefahr, dass sich einzelne TN nicht an den Diskussionen beteiligen und keinen Beitrag zum Arbeitsprozess beitragen. Teams mit bis zu zehn TN kommen bei Problembasiertem Lernen nur dann zum Einsatz, wenn eine Betreuungsperson (LP oder Tutor*in) pro Gruppe zur Verfügung steht. [7]

    Bevor das Arbeiten im Team beginnen kann, wird zunächst die Methode vorgestellt und erklärt. Da die TN in diesem Ansatz eine aktive Rolle einnehmen und sich Wissen selbst und kollaborativ erarbeiten sollen, ist es wichtig, dass ihnen ihre Verantwortlichkeit im Team und dem Team gegenüber bewusst ist. Sofern die TN nicht in Kohorten studieren (z.B. TN bilden einen Jahrgang und kennen sich bereits seit mehreren Semestern), können „Vorstellungsrunden“ in den Teams oder „Ice-Breaker“ dabei helfen, eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Nach dem ersten Kennenlernen im Team können z.B. gute und schlechte Erfahrungen mit der Teamarbeit/Zusammenarbeit ausgetauscht und reflektiert werden. Diese Erfahrungen können als Basis dienen, in den Teams Erwartungen an die Teamarbeit zu sammeln und Grundregeln für das gemeinsame Arbeiten festzulegen. Das kann dabei helfen, Akzeptanz für die Teamarbeit und ein fruchtbares Arbeitsklima zu schaffen.

    „Siebensprung“ – Sieben Schritte des problemorientierten Lernens

    Eine Möglichkeit, problembasiertes Lernen zu strukturieren, ist der sogenannte „Siebensprung“, eine Abfolge von sieben Arbeitsschritten, entwickelt von der Universität Maastricht. # Wie viel Zeit pro Schritt einzuplanen ist, hängt von der Komplexität und dem Umfang des Fallbeispiels bzw. der von den TN identifizierten Problemstellung ab. Es ist mindestens mit zwei Präsenzeinheiten pro Problemstellung zu rechnen, zwischen denen mindestens eine Woche Zeit für die Phase des Selbststudiums liegt (siehe Schritt 6). Eine Skizzierung des zeitlichen Ablaufs findet sich in diesem Dokument.

    Die sieben Schritte werden folglich kurz dargestellt:

    Schritt 1: Begriffe und Konzepte klären

    Im ersten Schritt erhalten die Teams das Fallbeispiel. Die TN lesen es auf Verständlichkeit durch und diskutieren Unklarheiten in der Gruppe bzw. mit LP.

    Schritt 2: Problemaspekte definieren

    Im zweiten Schritt analysieren die TN das Fallbeispiel um die Probleme bzw. Problemaspekte zu identifizieren, die damit verbunden sind. Es ist deshalb möglich, dass Teams mit dem gleichen Fallbeispiel auf unterschiedliche Aspekte des Problems fokussieren und in weiterer Folge bearbeiten. Hier ist die LP gefragt, einerseits unterschiedliche Zugänge und Auffassungen zuzulassen, andererseits lenkend einzugreifen, falls sich die TN zu weit von der Kernproblematik und den damit verbundenen Lernzielen wegbewegen.

    Schritt 3: Brainstorming

    Die TN sammeln in diesem Schritt gemeinsam bereits vorhandenes Wissen, Ideen und Zusammenhänge rund um das im zweiten Schritt definierte Problem.  

    Schritt 4: Wissen strukturieren

    Im vierten Schritt geht es darum, die im Brainstorming gesammelten Informationen zu strukturieren. Wie diese Strukturierung aussieht, ist den TN selbst überlassen. Ziel ist es, dass in diesem Schritt entschieden wird, welche Aspekte, Informationen, Vorgangsweisen für die Problemlösung am wichtigsten sind. Nicht relevante Informationen werden ausgeklammert.

    Schritt 5: Lernziele festlegen

    Die Teams erstellen im fünften Schritt einen Prozess für das Lösen des Problems. Dabei formulieren sie Lernziele im Sinne von Arbeitsschritten und Aufgaben, die zu erledigen sind, um einen Lösungsweg zu erarbeiten. Arbeitsschritte und Aufgaben werden definiert und auf einzelne Teammitglieder aufgeteilt.

    Schritt 6: Selbststudium

    Die Phase des Selbststudiums ist der einzige Schritt, der nicht gemeinsam im Team stattfindet. Die TN bearbeiten die Arbeitsaufträge, die sie im fünften Schritt beschlossen haben und erarbeiten sich somit wichtige Inhalte, die zur Problemlösung benötigt werden. Teil der Aufgabe ist es auch, die Erkenntnisse zu dokumentieren und den Teammitgliedern zugänglich zu machen.

    Schritt 7: Austausch, Diskussion und Konsolidation

    Die TN treffen in ihren Teams zusammen, und teilen die im Selbststudium erarbeiteten Informationen. Ziel ist es, alle TN auf den gleichen Wissensstand zu bringen. Das zusammengetragene Wissen wird genutzt, um einen Lösungsweg auszuarbeiten. Der Lösungsweg wird dokumentiert, argumentiert und präsentiert, bspw. als schriftlicher Abschlussbericht, der auf die Lernplattform hochgeladen wird, oder als Präsentation vor allen TN. In diesem Schritt kann auch Peer-Feedback zum Einsatz kommen: jedem Team kann die Aufgabe übertragen werden, die Lösungen, Lösungswege und Argumentation eines oder zwei anderer Teams nach vorgegebenen oder gemeinsam ausgearbeiteten Kriterien zu bewerten. Siehe den eigenen Use Case für mehr Details zu „Peer-Feedback“.

    Digitale Tools zur Unterstützung der Kollaboration

    Eine Möglichkeit zur Unterstützung der Kollaboration in den sieben Schritten ist es, auf dem Lernmanagementsystem (LMS) einen eigenen Bereich für jedes Team einzurichten. Der Bereich dient jedem Team dazu, sich zu organisieren, zu kommunizieren und gemeinsam an den sieben Schritten zu arbeiten. Der Vorteil bei der Verwendung vom LMS ist, dass die Kollaboration zentral von einer Plattform aus unterstützt werden kann und die LP Einsicht in die Fortschritte der TN nehmen kann. Zudem können dort zentral für alle TN hilfreiche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, wie ein „Fahrplan“ für die Lehrveranstaltung (Lernziele, Methode, Beurteilungskriterien, was wann wie zu erledigen ist), eine Zusammenfassung der Vorteile der Methode, die einzelnen Arbeitsschritte des Siebensprungs, hilfreiche Fachliteratur etc.

    Auf dem LMS Moodle bspw. können die Teams als „Gruppen“ nachgebildet werden und Aktivitäten für jedes Team eingerichtet werden (siehe dazu die Anleitung der Academic Moodle Cooperation). Jedes Team kann nur auf den Bereich der eigenen Gruppe zugreifen – der Zugriff kann aber nach Ende der Problembearbeitung auf alle TN erweitert werden. Diese Einschränkung verhindert, dass sich die Teams gegenseitig im Problemlöseprozess beeinflussen.  Folgende Aktivitäten auf Moodle sind besonders geeignet, um die Teamarbeit zu unterstützen:

    • „Chat“ für die synchrone (d.h. gleichzeitige) schriftliche Kommunikation
    • „Forum“ für die asynchrone (d.h. zeitversetzte) schriftliche Kommunikation
    • „Studierendenordner“ als Möglichkeit, Dateien innerhalb der Gruppe zu teilen (z.B. Fachartikel, ausgearbeitete Arbeitsaufträge aus der Phase des Selbststudiums)
    • „Aufgabe“ zur Abgabe der ausgearbeiteten Lösung bzw. eines vorgegebenen Endproduktes; soll das Endprodukt mit allen TN geteilt werden, kann das über einen Studierendenordner oder ein Forum geschehen, auf den/das alle TN Zugriff haben
    •   „Link/URL“ um externe Tools für die Kollaboration einzubinden.

    Über letztere Aktivität („Link/URL“) können externe digitale Tools eingebunden werden. Beispielsweise kann die LP für jedes Team ein Dokument über Office365 oder GoogleDrive einrichten und freigeben, dass die TN eines Teams gleichzeitig in Echtzeit bearbeiten können. In diesen Dokumenten kann die LP bspw. das Fallbeispiel und die sieben Schritte einstellen. Das gemeinsame, gleichzeitige Schreiben ist besonders für die Schritte 3-5 hilfreich, und auch die Ergebnisse des Selbststudiums (Schritt 6) können darin festgehalten werden. Ebenfalls geeignet sind Kollaborationstools wie Padlet oder webbasierte Texteditoren wie ZUMPad. Siehe insbesondere zu Schritt 3 die Use Cases „Brainstorming – Ideenfindung“ und „Brainstorming – Vorwissen“.

    Gerade, wenn das Fallbeispiel sehr komplex ist und über mehrere Einheiten hinweg oder sogar die gesamte Lehrveranstaltungsdauer bearbeitet wird, können Literaturverwaltungsprogramme zum Teilen von Literatur oder Tools zur Unterstützung von Projektarbeit dabei helfen, Aufgaben zu planen, zu verteilen und einen Überblick darüber zu behalten. Insbesondere bei Literaturverwaltungsprogrammen ist mit einer Einarbeitungszeit zu rechen bzw. sollten auf dem LMS Anleitungen/Tutorials verlinkt werden (die Bibliothek der Hochschule stellt diese idR zur Verfügung).

    Die sieben Schritte müssen nicht zwingend im Präsenzunterricht stattfinden. Um die Teamarbeit online zu unterstützen, sollte die LP auf dem LMS zusätzlich einen Videokonferenz-Raum für jedes Team einrichten (auf Moodle z.B. über BigBlueButton).
    Dabei ist darauf zu achten, dass die Berechtigungen so eingestellt werden, dass alle TN Referent*innen-Rechte bekommen (z.B. Bildschirm oder Folien teilen) und die Videokonferenz ohne LP abgehalten werden kann. So kann die LP zu den unterschiedlichen Teams zusteigen, muss aber nicht gleichzeitig bei allen virtuellen Teammeetings anwesend sein. Zusätzlich kann die LP eine Online-Sprechstunde einrichten, in der sie für Fragen zur Verfügung steht (z.B. als Chat oder Videokonferenz auf Moodle).

    Beurteilungsmethoden

    Die Beurteilungsform ist auf den Lehr-Lernansatz abzustimmen. Da Lernprozesse im Vordergrund stehen, ist ein Abprüfen von Faktenwissen in Form einer Klausur nicht sinnvoll und nicht passend zur Lernmethode. Soll eine Klausur zum Einsatz kommen, sind die Aufgaben als Open-Book-Prüfungen, siehe auch den UC Open-Book-Prüfung, ähnlich wie die Fallbeispiele zu gestalten, damit erworbene Problemlösekompetenzen angewandt werden können.

    Die im siebten Schritt erstellte Dokumentation und Argumentation des Lösungsweges kann ebenfalls eine Bewertungsgrundlage darstellen: Wurde schlüssig argumentiert? Ist der Lösungsweg plausibel? Welche Ressourcen wurden genutzt, um zur Lösung zu kommen (z.B. Literatur)? Ist von den TN ein Abschlussbericht bzw. eine Abschlusspräsentation zu erstellen, können sie nach vorgegebenen Kriterien bewertet werden. Diese Kriterien helfen den TN zudem dabei, ihre Berichte/Präsentationen zu gestalten.

    Ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses in diesem Ansatz ist die Reflexion. [9] Als formatives, d.h. den Lernprozess begleitendes, Assessment können Lerntagebücher geführt werden. So kann jeder der 7 Schritte reflektiert werden, und bspw. auf folgende Leitfragen eingegangen werden: „Was habe ich gelernt?“ „Was ist mir noch unklar?“ „Wie habe ich im Team gearbeitet?“ „Wie habe ich die Teamarbeit erlebt?“ „Was brauche ich, um besser zu lernen/zu verstehen?“. Für die Umsetzung bietet es sich an das LMS zu verwenden. Auf Moodle kann bspw. die Aktivität „Aufgabe“  oder „Journal“ dafür erstellt werden. Erfahrene Nutzer*innen können auch ein persönliches „Wiki“ einrichten. Wichtig ist, dass nur der*die jeweilige TN und die LP auf die Reflexionen zugreifen kann, damit bei den TN keine Hemmschwelle entsteht, ihren Eindrücken und Gedanken freien Lauf zu lassen. Der LP helfen diese Reflexionen, um Einblicke in die Lernprozesse und Teamarbeit zu bekommen und Hilfestellungen darauf abzustimmen.